Die Kirche und die Kirchen

Es gibt so einige Dinge, über die ich zwar schon seit langem nachdenke, aber über die ich bis jetzt noch nie gesprochen habe. In dem kürzlich erschienen Interviewbuch mit der Journalistin Camille Krafft rede ich nun darüber. Da ich beinahe gestorben wäre, will ich nicht mehr zurückhalten mit dem, was ich noch sagen möchte.

Schon Jahre bevor ich Bischof wurde, habe ich gedacht und auch (im kleinen Kreis) gesagt, dass man für das Wohl der Kirche auf Kirchen verzichten müsste. Mit der Kirche meine ich, wie im Neuen Testament, Leib Christi, Volk Gottes, Tempel des Heiligen Geistes, Braut des Herrn, das Neue Jerusalem; mit Kirchen aber die Gebäude. Von diesen ist im Neuen Testament noch nicht die Rede, aber sie sind eine logische Konsequenz mit dem Ende der Christenverfolgungen – ähnlich wie Gott schon David den Bau eines Tempels zugestanden hatte.   

Kirchen erinnern uns an die Gegenwart Gottes. Immer dann, wenn ich eine renovierte Kirche segne, erlebe ich viel Freude und häufig höre ich auch (beim Aperitif danach): «Wissen Sie, ich gehe zwar nicht so oft in die Kirche, aber ich freue mich so sehr, dass sie renoviert worden ist.» Das ist natürlich schön. Diese Aussagen zeugen davon, dass diese Kirchen einen Platz im Herzen dieser Menschen haben. Aber sie zeugen auch davon, dass die Zeichenhaftigkeit der Kirchen nach und nach unverständlicher wird, je mehr die christliche Erziehung schwindet.

Ohne die Kirche als lebendige und erfahrbare Gemeinschaft sind Kirchen ungefähr so aussagekräftig wie ein Minervatempel. Gerade beobachte ich allerdings zwei parallel verlaufende Entwicklungen: die vielen Kirchenaustritte und gleichzeitig eine wachsende Zahl von Menschen, die bisher mit der Kirche nichts zu tun gehabt haben, nun aber eine Hoffnung in ihr suchen, die in der Gesellschaft fehlt. Wie aber können die vielen leeren Kirchen (sei es wegen der Kirchenaustritte oder auch aus anderen Gründen) zum Zeichen werden für diese neuen Gläubigen?

Unsere finanziellen Möglichkeiten nehmen ab. Sollen wir die verbleibenden Mittel wirklich in unsere Kirchengebäude investieren? Erfüllt das die wachsenden Erwartungen der neuen Kirchenmitglieder? Wenngleich das keine Frage von Leben oder Tod sein mag, Gott handelt schliesslich immer, so hat er uns doch auch diese Verantwortung gegeben.

+ Charles Morerod OP