Wort des Bischofs

Wir haben also einen Papst Leo, der diesen Namen ausdrücklich in Anlehnung an seinen Vorgänger Leo XIII., den Verfasser der Enzyklika Rerum Novarum von 1891, gewählt hat. Diese Verbindung bedeutet, dass die „neuen Dinge“ von 1891 in gewisser Weise fortbestehen und in diesem Fall neue Entwicklungen erfahren. Der Anfang der Enzyklika von Leo XIII. verdeutlicht diese Absicht: „Der Innovationsdrang, der seit langem die Gesellschaften erfasst und in fieberhafter Unruhe hält, musste früher oder später von den Bereichen der Politik auf den benachbarten Bereich der Sozialwirtschaft übergreifen. Denn die Industrie hat sich entwickelt und ihre Methoden haben sich völlig erneuert. Die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern haben sich verändert. Der Reichtum floss in die Hände einiger weniger, während die Masse in Armut lebte. Die Arbeiter entwickelten ein höheres Selbstbewusstsein und schlossen sich enger zusammen. All diese Tatsachen, ganz zu schweigen vom Moralverfall, führten zu einem gefährlichen Konflikt.“[1]

Es ist offensichtlich, dass sich die „Arbeiterfrage“ nicht mehr in derselben Form stellt wie im Jahr 1891. Aber kann man nicht mehr von einer „Konzentration in den Händen Einiger Weniger in Industrie und Handel, die zum Besitz einer kleinen Gruppe wohlhabender Männer und Plutokraten geworden sind, die damit der unendlichen Masse der Proletarier ein fast sklavisches Joch auferlegen“ sprechen?[2] Derzeit besitzt weniger als 1 % der Menschheit mehr als die Hälfte des Reichtums… Diese Zahlen sind ein Indikator für grosses Leid, auch in der Schweiz, und Papst Leo XIV. kann eine Verbindung zwischen Frieden und Gerechtigkeit herstellen. Neue Entwicklungen, die 1891 noch nicht absehbar waren, betreffen die schrittweise Ersetzung menschlicher Arbeit durch „intelligente Roboter“: Was in vielerlei Hinsicht vielversprechend ist (z. B. für Menschen, die dank „intelligenter“ Prothesen wieder sehen oder einen Arm bewegen können), wirft auch die ernste Frage einer möglichen massiven Zwangsarbeitslosigkeit auf…

Der Papst gehört dem Augustinerorden an. Er folgt also der Regel des heiligen Augustinus, die auch von den Dominikanern befolgt wird, und ich weiss, dass eine Regel eine Weltanschauung prägt. Diese Regel schreibt innerhalb eines Ordens keine absolute Gleichheit vor, sondern ein Mass bei der Bereitstellung von Gütern: „Euer Prior soll jedem von euch Nahrung und Kleidung zuteilen, nicht nach dem Prinzip der Gleichheit, da eure Gesundheit unterschiedlich ist, sondern jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Was die Bereitstellung nach den Bedürfnissen angeht, so könnte der heilige Augustinus Leo XIII. (natürlich gehen auch viele andere Kirchenväter in die gleiche Richtung) und sehr wahrscheinlich Leo XIV. inspiriert haben. Er erklärt nämlich, was passiert, wenn man für sich selbst mehr will, als man braucht: „Die überflüssigen Güter, die übrig bleiben, sind die notwendigen Güter der anderen. Der Überfluss der Reichen ist das Notwendige der Armen. Wenn man Überfluss besitzt, besitzt man das Gut eines anderen.“[3]

Papst Franziskus hat unsere Aufmerksamkeit stark auf die ökologische Frage und ihren Zusammenhang mit spirituellen und sozialen Fragen gelenkt. Rerum novarum gab Anlass zu Jubiläums-Enzykliken: Quadragesimo anno von Pius XI. (1931), Mater et magistra von Johannes XXIII. (1961) und Centesimus annus von Johannes Paul II. (1991). Ich glaube, dass es Jubiläums-Enzykliken zu Laudato Si‘ geben wird. Und ich wäre nicht überrascht, wenn Papst Leo XIV. den Zusammenhang zwischen diesen beiden Enzykliken aufzeigen würde. Die Katastrophe von Blatten ist ein tragisches Beispiel dafür.

+ Charles Morerod OP

 

[1] https://www.vatican.va/content/leo-xiii/fr/encyclicals/documents/hf_l-xiii_enc_15051891_rerum-novarum.html

[2] Ibid.

[3] « caetera quae superflua iacent, aliorum sunt necessaria. Superflua divitum, necessaria sunt pauperum. Res alienae possidentur, cum superflua possidentur » (Hl. Augustinus, Enarrationes in Psalmos, 147.12, https://www.augustinus.it/latino/esposizioni_salmi/index2.htm).

Diözesane Weiterbildung 2024-2025: „Wagen wir den Wandel! Was tun wir also jetzt?“

Die diözesane Weiterbildung, die im Mai 2024 begonnen hat, wurde am Donnerstag, den 13. und Freitag, den 14. Februar fortgesetzt. Nach Überlegungen auf lokaler Ebene (13.02.) fand eine diözesane Versammlung in Renens statt (14.02.).

Rückblick auf diese Tage:

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Bischof Charles Morerod zum Präsidenten gewählt

Bischof Morerod wurde am 4. Dezember 2024 zum Präsidenten der Schweizer Bischofskonferenz gewählt. Er wird diese Aufgabe am 1. Januar 2025 antreten.

Dies ist seine zweite Amtszeit an der Leitung der SBK (er war von 2013-2015 Vizepräsident und von 2016-2018 Präsident der SBK). Er wird an der Seite von Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur, Vizepräsident, und Josef Stübi, Weihbischof der Diözese Basel, drittes Mitglied des Präsidiums, arbeiten.

Pressemitteilung der SBK vom 04.12.2024